Die vier apokalyptischen Reiter nach John Gottman helfen dir dabei – und zeigen, worauf Paare achten sollten, die ihre Beziehung beschützen möchten.
Wenn Beziehungen auseinandergehen, liegt der Grund selten an „zu wenig Liebe“. Viel häufiger scheitern Paare an Kommunikationsmustern, die langsam, aber stetig Vertrauen, Intimität und Nähe untergraben. Der US-Paarforscher John Gottman, einer der einflussreichsten Beziehungspsychologen der Welt, hat diese Muster untersucht – über 40 Jahre, mit mehr als 3.000 Paaren.
Er fand heraus: Es gibt vier Kommunikationsarten, die besonders zuverlässig das Ende einer Beziehung vorhersagen. Er nannte sie die „vier apokalyptischen Reiter“ – in Anlehnung an die biblischen Figuren, die Unheil ankündigen. Wenn du deine Beziehung so richtig zerstören willst, findest du hier die Anleitung. 😉
In diesem Artikel erfährst du:
- Was die vier Reiter genau sind
- Woran du erkennst, dass du (oder dein:e Partner:in) in eins dieser Muster rutscht
- Und vor allem: Was ihr tun könnt, um destruktive Dynamiken zu transformieren
Reiter 1: Kritik – „Du bist das Problem“
Der erste Reiter ist die Kritik, vor allem in Form von Angriffen auf die Persönlichkeit des Partners oder der Partnerin:
- „Du bist immer so egoistisch.“
- „Nie hörst du mir zu.“
- „Du willst einfach nicht, dass wir glücklich sind.“
Kritik im Sinne von Gottmann greift die Identität des anderen an. Sie macht aus einem Verhalten („Du hast mir nicht zurückgeschrieben“) ein Charakterurteil („Du bist respektlos“).
Warum Kritik gefährlich ist
Sie führt dazu, dass der andere sofort in Verteidigung oder Rückzug geht – und damit rutscht das Paar direkt in das nächste destruktive Muster.
Wie Paare Kritik vermeiden können
Gottmans Empfehlung: starte sanft in ein Gespräch. Statt mit einer Anklage zu starten, beginne mit:
- Nutze Ich-Botschaften
- Beschreibe deine Gefühle
- Beschreibe das konkrete Verhalten, dass dich verletzt
Beispiel:
❌ „Du bist so unzuverlässig!“
✔️ „Ich fühle mich verunsichert, wenn du so spät Bescheid gibst. Kannst du das nächste Mal früher schreiben?“
Dieser kleine Unterschied entscheidet oft darüber, ob ein Gespräch eskaliert – oder verbindet.
Reiter 2: Verteidigung – „Ich habe nichts falsch gemacht“
Verteidigung ist die automatische Antwort auf Kritik. Hier sind drei Beispiele:
- „Ich kann doch nichts dafür!“
- „Das stimmt überhaupt nicht!“
- „Du machst das auch ständig!“
Warum Verteidigung gefährlich ist
Sie verhindert echte Verbindung, weil sie sagt: „Dein Empfinden ist ungültig, ich übernehme keine Verantwortung.“ Das Problem dabei ist, selbst wenn der Angriff unfair war, verschärft Verteidigung den Konflikt. Die Lösung liegt darin, Verantwortung zu übernehmen – aber nur für deinen Anteil.
Statt dich reflexhaft zu rechtfertigen, versuche:
✔️ Einen kleinen Teil Verantwortung zu übernehmen
„Ich verstehe, dass dich das verunsichert hat. Ich hätte früher Bescheid geben sollen.“
✔️ Nachfragen statt abwehren
„Hilf mir zu verstehen, was genau dich verletzt hat.“
✔️ Den Fokus weg von der Schuldfrage zu lenken
„Lass uns gemeinsam schauen, wie wir das beim nächsten Mal besser machen.“
Das ist kein „Unterwerfen“ – es ist Beziehungsführung.
Reiter 3: Mauern / Rückzug – „Ich kann nicht mehr“
Der dritte Reiter beschreibt ein Muster, das vielleicht ebenso viele von euch kennen: wenn der/die Partner:in gar nicht mehr kommuniziert und sich nur noch zurückzieht. Laut John Gottmann zeigt sich Mauern und Rückzug so:
- schweigen
- nicht mehr reagieren
- fluchtartiges Verlassen des Raums
- mentale Abwesenheit
Mauern ist fast immer ein Zeichen von physiologischer Überforderung: Der Körper ist im Fight-or-Flight-Modus, die Herzfrequenz hoch, das Stresslevel enorm. Gottman sagte häufig: „Menschen, die mauern, wirken kühl – aber innerlich kochen sie.“
Wie Paare Mauern verhindern
- Stoppwort vereinbaren
„Ich brauche 10 Minuten Pause.“
Nicht weggehen – unterbrechen. - Selbst-Beruhigung
Atmen, Bewegung, Natur, kaltes Wasser, kurze Pause. - Rückkehr vereinbaren
„Ich komme in 15 Minuten zurück und wir reden weiter.“ - Langsamer sprechen, weicher Tonfall
Nimmt das Nervensystem aus dem Alarmzustand.
Reiter 4: Verachtung – der gefährlichste Reiter
Wenn ein Paar bei Verachtung angekommen ist, sind zuvor schon viele Versuche, die Beziehung zu retten entweder ausgeblieben oder gescheitert. Verachtung zeugt von tiefen Wunden, die nie richtig besprochen oder aufgearbeitet werden.
Verachtung zeigt sich in:
- Augenrollen
- sarkastischem Spott
- „Ich bin besser als du“-Haltung
- moralischer Überlegenheit
- Beschämung
- Abwertung
- „Was stimmt nur mit dir nicht?“
Laut Gottman ist Verachtung der stärkste Prädiktor für eine Trennung. Weil Verachtung den anderen in seiner Würde verletzt. Sie tötet Respekt – und ohne Respekt gibt es keine Liebe. Die Beziehung fühlt sich wie ein Kampf an, nicht wie ein Zuhause.
Wie Paare Verachtung vorbeugen können
- Wertschätzung aktiv praktizieren
Gottman nennt das: building a culture of appreciation. Mache dir täglich bewusst, was der andere gut macht – nicht nur, was fehlt. - Aktuellen Frust benennen statt alte Wunden zu reaktivieren
Verachtung entsteht fast immer aus nicht adressiertem Groll. Sprecht rechtzeitig darüber! - Eigenes Erschöpfungslevel regulieren
Menschen fangen an Menschen zu verachten, wenn sie emotional überlastet sind. - Akzeptanz statt Überlegenheit
„Ich kann deinen Standpunkt sehen, auch wenn ich ihn nicht teile.“
Ich sag’s dir ganz ehrlich: Verachtung ist schwer rückgängig zu machen. Wenn ein Paar an diesem Punkt angelangt ist, würde ich dringend eine Paartherapie empfehlen. Lassen sich alte Wunden heilen, kann auch dieser vierte apokalyptische Reiter vertrieben werden – mit echter Wertschätzung und verletzlicher Kommunikation.
Wie Paare den apokalyptischen Reitern langfristig entkommen
Damit es gar nicht erst dazu kommt, dass ein Paar bei Verachtung angelangt, kann ich dir diese fünf Tipps an die Hand geben.
1. Reparaturversuche lernen
Menschen sind nicht perfekt. Wir machen alle Fehler von Zeit zu Zeit. Loszulassen und zu verzeihen ist zwar nicht immer einfach. Und doch macht es unsere Menschlichkeit aus und kann so viel bewegen. Gottman zufolge sind gesunde Beziehungen nicht konfliktfrei – aber sie sind reparaturfähig. Versuche, Beziehungen jeder Art zu reparieren, ist wahnsinnig wichtig, wenn man möchte, dass sie trotz Konflikte Bestand haben.
Das kann so aussehen:
- Eine nette Aufmerksamkeit oder Geste
- Ein liebes Wort
- Humor
- Eine Berührung
- „Okay, wir fangen nochmal an.“
- „Das war unfair. Tut mir leid.“
Vieles lässt sich reparieren, wenn man sich Mühe gibt und offen für die Zukunft ist.
2. Stress außerhalb der Beziehung reduzieren
Viele Konflikte entstehen nicht beziehungs-, sondern überforderungsbedingt.
Arbeitsstress, finanzielle und mentale Herausforderungen, Druck, familiäre Lasten, Süchte – all das entlädt sich in Partnerschaften. Ein entlasteter Mensch streitet anders. Behalte das im Hinterkopf und versuche dir und euch Inseln der Entlastung zu schaffen!
3. Regelmäßig echte Nähe üben
Das Nähebedürfnis von Menschen variiert und doch würde ich die These aufstellen, dass es genau das ist, weshalb wir überhaupt in Beziehungen gehen: Weil wir die körperliche und mentale Nähe zu jemand anderen brauchen. So fühlen wir uns integriert und mit der Welt verbunden – und weniger einsam.
Um die Nähe in Partnerschaften zu stärken, können folgende Tipps helfen:
- Wöchentlicher Check-in: Was beschäftigt euch gerade?
- Ununterbrochene 10 Minuten Zuhören pro Tag – gegenseitig!
- Fragen wie „Wie kann ich dir helfen“ sind Gamechanger!
Nähe entsteht durch Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge.
4. Das Nervensystem beruhigen
Viele Paarprobleme sind eigentlich körperliche Überlastungsreaktionen. Pausen, Schlaf, Erholung – helfen nicht nur einem selbst, sondern sie heben auch die Beziehungsqualität (wenn Erholungsmöglichkeiten gleichberechtigt verteilt sind).
5. Früh ansprechen, was weh tut
Unausgesprochene Bedürfnisse werden zu Groll und Groll zu Verachtung. Frühe Kommunikation ist deshalb Prävention. Und das beste daran: Wenn du ansprichst, was dir auf der Seele liegt, gibst du deinem Gegenüber die Chance, etwas zu ändern und euch beiden damit die Gelegenheit zu erleben, dass ihr aufeinander eingehen könnt. Das stärkt die Liebe und schweißt zusammen.
Lass dir das noch sagen
Die vier apokalyptischen Reiter sind Warnsignale, die zeigen, wo ein Paar überfordert, verletzt oder nicht mehr verbunden ist. Die gute Nachricht ist: (Fast) jeder Reiter kann gestoppt werden. Nicht durch Druck – sondern durch kleine, konkrete Veränderungen im Alltag:
- Wertschätzung zeigen
- Verantwortung übernehmen und aufteilen
- Pausen erlauben
- Nähe bewusst pflegen
Manche Beziehungen scheitern an Mustern, wozu uns niemand beigebracht hat wie wir damit umgehen können. Wenn wir diese Muster verstehen, entsteht Platz für etwas Neues: Verbindung, Sicherheit, echte Liebe. Oder eben die Anleitung, wie du es so richtig krachen lassen kannst. 😉
Mehr dazu habe ich auch im Podcast von Stella Schultner „IN LOVE“ erzählt. Hör gerne mal rein!