Wie feministisch ist der Sex, den ich habe? Das fragt sich Cleo Libro in ihrem neuen Buch „Gleichstellung – Sex zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Ein feministischer Selbstversuch“ und nimmt die Leser:innen mit in ihr Sexleben. Cleo schreibt über geheime Fantasien, aufregende Flirts und missglückte One-Night-Stands. Und darüber, wie hin- und hergerissen sie ist zwischen dem Slutshaming der Millennials und der TikTok-Aufklärung von Gen Z, zwischen ihrem Anspruch, ihrer Lust nach feministischen Prinzipien zu leben, und dem Reflex, den Weg des geringsten patriarchalen Widerstands einzuschlagen. Im FAIL IN LOVE NIGHTS Interview gibt dir die bisexuelle Autorin Impulse für dein Sexleben.
Cleo, was ist für dich feministischer (hetero-)Sex?
Ich denke, das kann ich am besten mit einer kleinen Anekdote erklären. Man muss dazu wissen, ich lese selten Kommentarspalten unter meinen eigenen Artikeln oder Interviews, wenn sie in großen online Medien erscheinen. Das tut nämlich der Psyche meistens nicht so gut. 😉 Aber als zum ersten Mal in einem Österreichischen Magazin ein Interview mit mir über das Buch erschien, habe ich mich aus Neugier durch die ersten Kommentare geklickt und folgendes gelesen: „Was die Autorin da beschreibt, klingt nach Sex, bei dem einfach alle Beteiligten rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst miteinander umgehen. Wieso muss das jetzt feministisch genannt werden?“ Und ich dachte mir nur: „Girl, du bist SO nah dran.“ Denn das ist, wofür die feministische Bewegung nach meinem Verständnis und Erleben einsteht – Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere, Solidarität untereinander, Akzeptanz der eigenen und Toleranz fremder Bedürfnisse. Feministischer Sex ist also ein Sammelbegriff für genau das: Intimität, die auf Selbstbestimmung und Achtung der Grenzen und Bedürfnisse aller Beteiligten achtet.
Was gehört noch dazu?
Dazu gehört auch, dass wir versuchen keine Grenzen zu verletzen, aber auch wissen, wie wir uns verantwortlich verhalten können, wenn wir es doch einmal tun. Das ist übrigens eine mir sehr wichtige Erweiterung des Konsens-Diskurses, die ich manchmal etwas vermisse. Denn wir können auch mit den besten (feministischen) Absichten nicht immer verhindern, Fehler zu machen. Haben wir dann Strategien an der Hand, um damit umzugehen, wenn wir Grenzen verletzt haben? Wo können wir das lernen? Das gehört zu verantwortungsvollem Sex genauso dazu wie eine offene Fehler- und Kommunikationskultur. Und das Bewusstsein, dass man seine eigene Sichtweise auch mal um die Perspektive der Menschen erweitern sollte, mit denen man intim werden möchte. Ein Bewusstsein dafür, dass meine Partner:innen Sexualität und den Kontext, in dem sie stattfindet, anders erleben können als ich selbst – das ist alles feministischer Sex, egal mit welcher Orientierung.
Du beschreibst in deinem Buch, dass beim Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau unbewusst einem vorgefertigten Drehbuch gefolgt wird. Wie sieht das aus und wie löst man sich daraus?
Ich vermute mal, die meisten Leute, die schonmal einen Mainstream Porno oder einen Hollywood-Film mit Sexszene gesehen oder ein Buch gelesen haben, in dem hetero Sex beschrieben wurde, haben einen sehr ähnlichen Ablauf im Kopf wie ich, wenn sie an hetero Sex denken: Es geht meistens mit Küssen und Fummeln los, bevor irgendwie die Klamotten aus dem Weg geschafft werden müssen, damit das „Vorspiel“ starten kann. Das ist häufig gegenseitiger Oralsex oder eine andere (mal kürzere, mal längere) Stimulation der Klitoris, um die Vagina anzufeuchten und für den penetrativen „Hauptakt“ des Liebesspiels vorzubereiten. Nach einer Weile Vaginalsex in ein bis drei unterschiedlichen Stellungen geht es dann auch schon auf das Finale zu: sein Orgasmus (wenn es eine ganz großzügige Darstellung ist, gleichzeitig mit ihrem Orgasmus unter lauten Lustschreien), der den Zieleinlauf markiert, bevor der Vorhang fällt.
Jedenfalls ist das eine stereotype Art und Weise hetero Sex darzustellen, die aber auch in meinem echten Sexleben schon unzählige Male so stattgefunden hat. Und ganz grundsätzlich ist das auch nicht verkehrt, wenn dieser Ablauf beim Sex genau das ist, was alle Beteiligten sich wünschen und genießen.
Wann wird es problematisch?
Die eine oder andere Studie zeigt, dass besonders bei hetero Paaren ein großes Ungleichgewicht herrscht, wenn es darum geht, wer bei dieser Art von Sex-Ablauf Spaß hat bzw. dabei auch einen Orgasmus erlebt. Weil sich alles um eine Praktik herum aufbaut, die die Stimulation des Penis in den Vordergrund rückt, sollte es niemanden wundern, dass die Leute, die einen Penis haben, auch mehr Orgasmen erleben, als die ohne Penis. Das nennt man auch den „Gender Orgasm Gap“ oder die „Orgasmuslücke“. Noch interessanter wird es dann, wenn man sich z. B. die Umfragen zum orgasmischen Erleben bei lesbischem Sex anschaut: da kommen die Beteiligten prozentual viel häufiger bzw. wahrscheinlicher zum Orgasmus als bei hetero Begegnungen.
Und woran liegt das?
Höchstwahrscheinlich, weil bei lesbischem Sex die Stimulation der Klitoris viel höher gewichtet wird durch andere, längere oder intensivere Stimulation. Es ist nämlich so, dass durch penetrativen Vaginalsex gar nicht bei so vielen Menschen mit Vagina Orgasmen ausgelöst werden (je nach Studie nur bei so um die 25 Prozent).
Wenn also hetero Sex vornehmlich nach einem Drehbuch abläuft, das Praktiken betont, die nur einer der beiden Seiten zu einem Orgasmus verhelfen können, dann ist das erstmal ein krasses Ungleichgewicht zwischen der Erfüllung von sexuellen Bedürfnissen.
Besonders, wenn man dann noch bedenkt, dass vaginale Penetration auch nicht selten als schmerzhaft empfunden werden kann oder am wahrscheinlichsten zu ungewollten Schwangerschaften führt. Alles meistens Probleme, die vor allem die weibliche Seite des hetero Paars betreffen.
Wieso ist es dir wichtig, andere dafür zu sensibilisieren?
Mir ist es wichtig zu erklären, wieso man sich überhaupt aus diesem stereotypischen Ablauf lösen wollen sollte. Denn einfach unreflektiert das nachzuvögeln, was man eben als hauptsächlich definierendes Vorbild für den Ablauf von hetero Sex kennengelernt hat, erhält das eben genannte Ungleichgewicht in der Bedürfnisbefriedigung aufrecht. Wie gesagt, nichts gegen die persönliche Präferenz des hetero Fick-Skripts (wie ich es liebevoll nenne), wenn man sich bewusst dafür entscheidet und alle Beteiligten damit zufrieden sind.
Aber wer gerne mal beispielsweise die Frage der Verantwortung für Schwangerschaftsverhütung aushebeln möchte oder dafür sorgen will, dass genauso viel Stimulation der Klitoris wie des Penis eine Rolle spielt, der:die sollte mal ein paar Alternativen zum klassischen Drehbuch ausprobieren.
Dafür kann es schon reichen, wenn man sich mal vornimmt, den bisherigen „Hauptakt“, nämlich die vaginale Penetration wegzulassen und stattdessen mehr Raum für andere Praktiken zu geben, die sonst kürzer kommen oder bisher gar nicht stattfanden. Das kann Oralsex sein oder Pegging oder voreinander zu masturbieren – die Möglichkeiten sind so individuell wie die Menschen, die ihren Sex gestalten wollen! Inspiration kann man sich auch als hetero Paar übrigens ganz einfach in der queeren Szene holen. Denn dort wird schon mit sehr langer Tradition abseits vom hetero Skript gevögelt.
Wie beeinflussen unsere Vorstellungen von Femininität und Maskulinität das Bett-Geschehen?
Wahrscheinlich ist der Grad der Beeinflussung durch klassische Geschlechter-Stereotype sehr individuell und deswegen bei jeder Person anders stark ausgeprägt. Aber sicherlich kann sich niemand davon freisprechen, dass die eine oder andere Vorstellung davon, wie sich eine „richtige“ Frau oder ein „echter“ Mann im Bett zu verhalten hat, Einfluss auf den eigenen Sex genommen hat. Und auch hier ist es erst einmal okay, wenn man sich in der Repräsentation eines Geschlechts wiederfindet, dem man sich selbst zuordnet.
Aber auch hier ist wieder ausschlaggebend, dass man für sich persönlich einmal darüber nachgedacht hat, ob man beim Sex gerne passiv bleibt, weil man denkt, nur das gehöre sich für eine Frau so oder weil man das tatsächlich genießt. Denn Geschlechterrollen werden dann problematisch, wenn wir sie mit Verhaltensregeln verwechseln, die uns vorschreiben, wie wir Sex zu haben, uns anzuziehen oder welches Leben wir zu führen haben. Oder nach denen wir Menschen in „richtige“ oder „falsche“ Kategorien von Geschlecht sortieren und entsprechend bewerten.
Welche eigenen Erfahrungen hast du in der Hinsicht gemacht?
Mein eigenes Verständnis von oder eher meine unterschwelligen Assoziationen mit Weiblichkeit haben lange dafür gesorgt, dass ich sehr serviceorientiert Sex hatte. Das heißt, dass ich immer die Bedürfnisse meiner Partner*innen über meine eigenen gestellt habe, auch wenn das oft keine Orgasmen für mich oder manchmal sogar Schmerzen beim Sex bedeutet hat. Oder auch Sex zu haben, bei dem ich mir gar nicht sicher war, ob ich ihn (so) überhaupt haben wollte. Unter anderem weil meine Vorstellung von der Rolle der Frau war (und teilweise noch ist), dass sie sich um alle kümmern und für Harmonie sorgen muss – koste es, was es wolle.
Wie bist du damit umgegangen?
Es ist nicht einfach, diese Konditionierung wieder abzulegen. Besonders bei diesem Beispiel, weil es ja auch gute Seiten hat, wenn ich es als wichtig verstehe, mich auch um die Lust meiner Partner:innen zu kümmern. Aber die Betonung liegt jetzt auf dem „auch“.
Meine eigenen Bedürfnisse und ihre Erfüllung als genauso wichtig anzusehen ist ein langsamer Lernprozess, der viel praktische Übung verlangt und in dem ich nicht immer nur Fortschritte mache.
Das kann mit meiner eigenen Tagesform zusammenhängen, aber auch damit, ob ich auf Partner:innen treffe, die mich bei dieser Entwicklung unterstützen oder eher dagegen arbeiten, weil sie das ganze Thema selbst noch nicht reflektiert haben.
Übrigens hat mir diese Reflexion auch dabei geholfen, herauszufinden, woher meine bi-panic kommt. Also meine Unsicherheit damit, meine eigene Bisexualität auszuleben und z. B. auch lesbischen Sex zu haben. Aber die Antworten darauf verrate ich an dieser Stelle mal noch nicht. 😉 Finden kann man sie allerdings in meinem Buch!
Was hast du als bisexuelle Frau aus dem Sex mit Frauen gelernt?
Ich habe aus dem Sex mit anderen Frauen, aber auch generell mit anderen bisexuellen Menschen gelernt, dass es krasse Vorteile haben kann, wenn mein:e Sexpartner:in meine Perspektive kennt. Das heißt, wenn er:sie weiß, wie es ist, wenn jemand oder etwas in den eigenen Körper eindringt. Oder welches Gedankenkarussell manchmal im Kopf abgeht, wenn ich mich sorge, ob ich auch feucht (genug) werde oder „zu lange“ brauche, um zum Orgasmus zu kommen. Es ist wirklich beruhigend und rückversichernd, mit Menschen intim zu sein, die meine Unsicherheiten nachvollziehen können oder wissen, dass es ein riesiger Vertrauensbeweis ist, wenn man in einem anderen Körper aufgenommen wird – und dass das Rücksichtnahme und Respekt erfordert.
Mal ganz zu schweigen von dem Vorteil, den es haben kann, wenn man ganz genau weiß, wie sich das von innen anfühlt, was man da gerade mit der Zunge macht… 😉
Wie kann man sich aus den vorgefertigten Verhaltensmustern im Bett lösen, sodass mehr Lust als Frust entsteht?
Ganz kurz runtergebrochen ist die Lösung eine Umstellung der eigenen Glaubenssätze über Sexualität. Oder auch das Auffüllen von Wissenslücken und Erkennen von Mythen. Und dabei gilt: Lernen, Umsetzen, Verinnerlichen and repeat. Ich habe den Eindruck, dass wir „aufklärerische“ Infos über Sex oder Geschlechterrollen oft zwar irgendwie in unseren Kopf aufnehmen, aber dass die Umsetzung davon – nämlich durch eine tatsächliche und nachhaltige Änderung des eigenen Verhaltens – nochmal eine ganz andere Nummer ist. Und ja, das ist nicht einfach. Auf einmal neue Wege zu denken und zu gehen und dann auch noch die eigenen Partner:innen und ihre Gewohnheiten und Glaubenssätze mitnehmen zu müssen. Wahrscheinlich noch, während man selbst vielleicht unsicher ist und sich dabei irgendwie schämt. Ich will gar nicht so tun, als wäre das alles kein Brett! Aber um eigene Glaubenssätze zu verändern, braucht es die nachhaltige praktische Umsetzung der neuen. Und es braucht die Kommunikation und Kooperation mit unseren Sexpartner:innen.
Wie sieht diese Kommunikation aus?
Viele von uns haben nie so richtig gelernt, wie man über Sex oder die eigenen Bedürfnisse und Wünsche sprechen kann, ohne sich dabei in Grund und Boden zu schämen. Und die Scham muss ja auch nicht erst ganz verschwinden, damit wir das Reden anfangen können. Wir sollten uns durch sie nur nicht den Mund verbieten lassen, wenn die Alternative ein Sexleben ist, das wir so eigentlich gar nicht haben wollen oder genießen können. Also müssen wir das Sprechen üben.
Das Leben ist kurz und bei Sex darf es am Ende auch einfach um Lust gehen. Deswegen rate ich zur Übung, was die Kommunikation zuerst mit sich selbst – und dann mit anderen Menschen über die eigenen (sexuellen) Bedürfnisse angeht. Dabei kann man ja klein anfangen. Schließlich müssen die meisten Leute am Ende gar nicht vor großem Publikum über Sex sprechen, neue Dinge austesten und Fehler machen – das machen wir meistens nur mit einem ganz kleinen Publikum, das uns häufig auch noch gern hat und uns das Beste wünscht – nämlich unsere Partner:innen.
Wir können uns also ruhig trauen, guten Sex als Team Work mit ihnen zu betrachten. So lässt sich dann auch nach und nach der Frust zur Lust im Bett verschieben.
Danke dir, Cleo!